Cover
Titel
Hearing is Believing. Radio(-Programme) als strategisches Propagandainstrument


Herausgeber
Moser, Karin
Erschienen
Göttingen 2023: V&R unipress
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clemens Zimmermann, Kultur- und Mediengeschichte, Universität des Saarlandes

Schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stellte das Radio das wichtigste Alltagsmedium dar. Es war hoch attraktiv durch sein Musikprogramm, als aktueller Informationsgeber in der Mittagspause und Instrument der virtuellen Teilhabe an politischen und kulturellen Ereignissen sowie aufgrund seiner Funktion als Taktgeber im Alltag. Unpolitisch war es damit keineswegs. Ob das Hören von propagandistischen Radioprogrammen bedeutete, dass man den verbreiteten Botschaften glaubte, ist eine der großen Fragen in der historischen Medien- und Kommunikationsforschung.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges mussten sich die Hörerinnen und Hörer entscheiden, noch mehr zu hören. Denn nun ging es ganz besonders darum, nicht alles zu glauben, sondern sich nach Möglichkeit sicheres Wissen zu verschaffen. Gesichertes Wissen wurde lebenswichtig – Wissen über die Entscheidungen der Alliierten, den wirklichen Kriegsverlauf, den Verbleib von Angehörigen. Dazu war es nötig, die Nachrichtensendungen zu dekonstruieren – stellte das Berichtete nicht einfach eine propagandistische Schönrednerei dar, gar eine krasse Irreführung? Soweit es um den Glauben an die Wahrhaftigkeit des Gesendeten ging, war individuelle Medienkompetenz ebenso nötig wie die Abwägung, ob das Berichtete aufgrund früherer Informationen plausibel erschien. Hatte man mehrere Quellen zur Verfügung, auch das, was von Zeitzeugen berichtet wurde, konnte man das im Radio Gehörte schon eher beurteilen. Vieles, was nach 1942/43 über den „Äther“ ging, erschien indes als unverfänglich. Eine Reportage über eine Sportveranstaltung mochte mitreißen, ein Konzert der Wiener Philharmoniker als genussreiche Kulturleistung gewürdigt werden. Solche Sendungen wurden von den Hörenden in der Regel nicht als Propaganda wahrgenommen.

Der Schwerpunkt dieses von der Wiener Zeit- und Medienhistorikerin Karin Moser herausgegebenen Bandes liegt bei Radioprogrammen der Zeit des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit, die manchmal für die Hörenden unmittelbar als propagandistisch gefärbt zu erkennen waren, manchmal aber erst auf den zweiten Blick. Die 15 – notwendig ziemlich kurzen – Beiträge (dazu kommen ein Editorial und ein Dokumentationsteil) schildern den Gegenstand nicht allein von gesendeten Inhalten oder den Sendungskonzepten her, sondern widmen sich auch deren jeweiligem medialen Setting. Es geht nicht nur um Österreich und Deutschland, sondern auch um die USA und, für die Zeit nach 1945, die Sowjetunion.

In transnationaler Perspektive zeigt als erstes Philipp Henning die Versuche auf, über einen getarnten Auslandssender des deutschen Reichsrundfunks „Zersetzungs- und Verwirrpropaganda“ in arabischer Sprache zu betreiben. Hier suchte man Antisemitismus und antikoloniale beziehungsweise antibritische Polemik zu kombinieren. Die professionelle Hilfe von Exilierten, Kriegsgefangenen und Kollaborateuren ermöglichte zwar die Durchführung dieses Hass-Programms, aber es gab zu wenig Vorwissen über die Einstellungen und die Sprachwelt der Hörerschaft. Weniger ausgeprägt war der propagandistische Charakter von Vorträgen zu Fortschritten der Bodendenkmalpflege und Archäologie im Staatsgebiet von Österreich vor und nach 1938 (Florian-Jan Ostrowski). Anhand der vom Autor geleisteten Auflistung von einschlägigen Sendungen kann man kaum erkennen, ob ein gesendeter Wortbeitrag wirklich mit politisch-ideologischen Inhalten gespickt war. Allerdings deuten einige Vortragstitel auf die wachsende Ideologisierung des Fachgebietes nach 1939 hin.

In den Anfangsjahren des Mediums gewann der „Hörfilm“ an Boden, womit Hörspiele und Reportagen gemeint waren. Im Artikel von Christine Ehardt werden dazu nicht die Botschaften der Sendungen untersucht, sondern es wird das Mediengenre in seiner ästhetisch-propagandistischen Bedeutung eruiert. Michael Kuhlmann weist detailliert und kundig die aktive Rolle des – dezidiert politisch aufgestellten – RIAS („Rundfunk im amerikanischen Sektor“ von Berlin) beim Aufstand des 17. Juni 1953 nach. Kuhlmann zeigt in seiner packenden Schilderung, wie sich Ereignisse und Berichterstattung gegenseitig hochschaukelten. Seit der Mittagszeit des 17. Juni und den einsetzenden Opfermeldungen hielten es die Verantwortlichen allerdings für angebracht, zu deeskalieren.

Adrian Hänni berichtet über das bislang in der Forschung unbekannte „Radio Omega“, das vom Staatssekretariat des Heiligen Stuhls finanziert wurde; mit diesem Sender und durch Kontakte zu „Radio Free Russia“ wollte man im Vatikan den atheistischen Kommunismus bekämpfen. Der Broadcasting Service des „United States Information Service“, der zwischen 1948 und 1990 aktiv war, wird von Anton Hubauer als (relativ diskrete und niveauvolle) Form der „Public Diplomacy“ charakterisiert. So ging es in Interviews mit bekannten Wissenschaftlern um Fortschritte beim „Space Race“ mit den Sowjets. Eine explizite Thematisierung der Zeit des Nationalsozialismus (NS) unterblieb bei der „Voice of America“ weitgehend – der drohende dritte Weltkrieg ließ das Thema in den Hintergrund treten. Dazu passend untersucht Frank Mehring das US-amerikanische Radioformat „I’m an American“. Es bestand aus Interviews mit prominenten Europäern, die recht euphorisch darüber berichteten, wie gastfreundlich sie bei ihrer Ankunft in den USA aufgenommen worden seien. Der Autor geht auf die Statements von Thomas Mann, Kurt Weill und Albert Einstein ein und meint, dass die Sendung für die Zuhörenden zu einer Art „Nervenkitzel“ geworden sei. Nicht alle Interviewten versäumten es übrigens, auf die Defizite amerikanischer Demokratie hinzuweisen – was die Glaubwürdigkeit der ganzen Sendereihe gestärkt haben muss.

Näher in die mediale Inhaltsanalyse begibt sich Cornelia Szabó-Knotik zur Berichterstattung über heimkehrende österreichische Kriegsgefangene. Der Ablauf der Sendungen und späterer Wiederholungen wird hier gut nachvollziehbar beschrieben: Zunächst kam der Sound des Ankommens am Bahnhof, gefolgt von Begrüßungen und Ansprachen sowie durch suggestive Fragen der Reporter veranlassten O-Tönen der Heimgekehrten. Später unterrichtete man die Hörerschaft darüber, wie gut doch inzwischen die Heimgekehrten versorgt worden seien. Die Autorin arbeitet heraus, wie die Grundmotive der Trauer, der Heimat und der „richtigen“ Rolle der Frauen prononciert wurden. Es handelte sich also nicht um explizite Propaganda, sondern um eine stark gefärbte, komplex organisierte und emotional berührende, indes tendenziöse Live-Berichterstattung für ein inländisches Publikum; die Quellensituation ist in Österreich für solche Untersuchungen überaus günstig.

Großes Potenzial hat der Artikel von Felix Berge, der zum Thema des Zusammenhangs von Rundfunkpropaganda und „Gerüchtemacherei“ ein weiterführendes Forschungsprojekt betreibt. Zwar versuchten die Nationalsozialisten schädliche Gerüchte durch den Rundfunk zu bekämpfen, zugleich wurden diese aber, so die These Berges, zunehmend als Mittel der eigenen viralen Kriegsführung eingesetzt.

Vielversprechend ist neben den transnationalen Akzentsetzungen, dass im vorliegenden Band intensiv auf Musikprogramme eingegangen wird. „Musikpropaganda“ untersucht Valentin Bardet am Beispiel des Südwestfunks im Rahmen der sehr aktiven französischen Kulturpolitik. Stephan Summers widmet sich den zensierten Musikprogrammen amerikanischer Besatzungssender. Elias Berner zeigt auf, dass im Nachkriegsösterreich das am einheimischen Geschmack orientierte Musik- und Kabarettprogramm des Senders „Rot-Weiß-Rot“ für Volkstümlichkeit und „antikommunistische Einstellung“ stand. Als Reaktion auf inzwischen leicht im Radiotransistor empfangbare westliche Musik sah sich die sowjetische Führung 1964 dazu genötigt, eine eigene und innovative Version von Formatradio anzubieten. Hörerinnen und Hörer konnten die Titel mitschneiden. So entwickelte sich ein „Radio-Soundscape des alltäglichen Sozialismus“ (Kristina Wittkamp).

Wie aktuell das Gesamtthema ist, zeigt gleich zu Beginn des Bandes Solveig Ottmann am Beispiel der Identitären Bewegungen auf, die direkt auf YouTube senden. Schließlich sei auf den eigenen Beitrag von Karin Moser eingegangen: Aufgrund einer ersten Sichtung der Sendungen, die aus dem Bestand der „Voice of America“ in der österreichischen Mediathek eruierbar sind, arbeitet die Autorin heraus, wie mit „einem vertrauten Idiom“ gearbeitet und das Vorwissen der österreichischen Rezipienten bedient wurde. Man schaffte es hier, „geläufige Sprachbilder, Motive, Symbole, musikalische Elemente und Narrationen“ aufzugreifen. Moser betont die emotionalisierende Strategie, die einer solchen Sendung zugrunde lag. Ihre Analyse erweitert so das methodische Repertoire üblicher Propagandaforschung.

Alles in allem vermag der Sammelband einem mittlerweile schon ziemlich erschöpfend behandelten Forschungszweig neue Impulse zu geben – durch den Einbezug wenig bekannten Archivmaterials, das Augenmerk auf Musik, emotionalisierende Formate und Kommunikationsweisen sowie die Einbeziehung transnationaler Perspektiven. Insbesondere ist hervorzuheben, dass die früheren weitverbreiteten Annahmen über geradlinige Effekte von Radiopropagandasendungen inzwischen einer differenzierenden diskursgeschichtlichen und mediengeschichtlich informierten Sicht gewichen sind.